Etwas stimmte mit ihr nicht. Das war Maren durchaus bewusst. Zumindest jetzt. Sie war nicht so fröhlich wie die anderen Menschen. Sie hatte weniger Mut, mehr Angst, sie war nicht so laut, nicht so leistungsfähig, nicht so wach. Sie war auch nicht so schlau, konnte nicht so taktieren und planen und Schachzüge ersinnen, die sie dorthin brachten, wohin sie wollte. Maren war einfach nur dort, wo sie war. Sie bewegte sich, wenn sie angestoßen wurde, oder gerufen. Sobald sie ihre Ruhe hatte, blieb sie bewegungslos stehen. Nein, noch besser: liegen! Am liebsten lag sie in ihrem Bett, die Tür geschlossen, die Jalousie unten und hoffte, dass dies möglichst lange so bleiben würde. Ein verletztes Tier, das sich zurückzog. Aber wer hatte ihr die Verletzung zugefügt? Was hatte sie so werden lassen? Sie dachte nicht oft darüber nach, und jetzt fiel ihr keine Antwort ein. Kein Trauma der Kindheit, sie war nicht misshandelt worden, nicht missbraucht. Mäßig geliebt, vielleicht, aber das traf doch auf so viele zu. Sicher, in der Schule war sie eher die Außenseiterin gewesen, so als hätten alle schon geahnt, dass sie eines Tages Lehrerin sein würde. Aber kein Mobbing, keine Boshaftigkeiten. Heiko war ein Schmerz gewesen. Der erste richtige Schmerz, der schöne Heiko, der Verehrte, der Begehrte, der Wählerische. Die strahlende Gestalt, der Held, den sie bemerkte, sobald er auf den Schulhof kam. Selbst von hinten. Den sie immer sofort entdeckte und der Maren nie wahrnahm. Aber das war ja nicht einmal Liebe gewesen, eine Jugendschwärmerei, eine pubertäre Wallung der Hormone. Sie war jetzt fast fünfzig, diese unerfüllte Sehnsucht konnte sie doch wohl jetzt nicht mehr aus der Bahn werfen, oder? Aber hätte Heiko sie damals erkannt, dann hätte sie vielleicht Wolfgang nicht so erleichtert und leichtgläubig an die Hand nehmen und fortführen lassen. Nicht, dass Wolfgang ihr wirklich etwas getan hätte, aber vielleicht war es gerade das, was er nicht getan hatte, was er nicht tut, nie tun wird. Möglicherweise war das der Fehler gewesen, den sie in ihrem Leben begangen hatte. Helen glaubte ihr das nicht. Helen sagte, sie solle sich trennen, wenn es wirklich so war. Einen Neuanfang machen. Aber war es dafür nicht zu spät? Ihr war doch schon längst die Kraft genommen worden, die sie dafür gebraucht hätte. Vielleicht in den Ferien, im Sommer. Wenn sie sich ausgeruht hatte. Vielleicht würde sie dann aufstehen und die Tür öffnen. Vielleicht.