Was, wenn er fiele? Auf dem Geländer balancierte und den Halt verlor? Zur falschen Seite kippte?
Wolfgang konnte sie fast spüren - die schreckliche Erkenntnis, dass es kein zurück mehr geben konnte, dass er stürzen würde, unvermeidlich. Panik, ein schwarzes Loch im Magen, der freie Fall. Spürte man den Aufprall? War das Bewusstsein fort, bevor die Nervenbahnen katastrophalen Schmerz melden konnten? Dann der Lastwagen, der nicht mehr bremsen kann und zerstört, was längst zerstört ist. Vollsperrung, stundenlang. Es würde dauern, die sterblichen Überreste zusammenzusammeln. Die Reste von ihm. Den traumatisieren LKW-Fahrer fortzubringen, sein Fahrzeug. Kilometerlanger Stau, mitten in der Nacht. Und dann gab es ihn nicht mehr. Dann würde die Welt ohne Wolfgang auskommen. Maren würde trauern, obwohl seine Gegenwart sie schon lange nicht mehr glücklich machte. Peter? Würde auch trauern, vielleicht an verpasste Gelegenheiten denken, an unnötige Auseinandersetzungen. Wahrscheinlich würde er mit Manuel nächtelang darüber rätseln, wieso sein Vater von dieser Brücke gestürzt war. Es konnte doch nur Selbstmord sein? Niemand konnte annehmen, dass er auf dem Geländer balanciert und abgestürzt war. Es sei denn, die Kriminaltechniker könnten das anhand von mikroskopischen Spuren nachweisen. Eva? Wolfgang gab sich keinen Illusionen hin. Sie würde sich wundern, wenn er nicht mehr anrief. Vielleicht auch in der Zeitung von dem Unfall lesen und verstehen, dass er es war. Sie würde seinen Tod bedauern, nicht mehr und nicht weniger. Oder doch? Und die Kollegen? Wären geschockt. Würden darüber reden, wie wenig man voneinander weiß, obwohl man so viel Zeit miteinander verbringt. Es würde eine Todesanzeige verteilt werden, von der Leitung und dem Personalrat unterschrieben. Eine gut besuchte Trauerfeier, gewiss. Aber echte Tränen? Wer würde wirklich um ihn weinen? Wo würde er wirklich fehlen?