Wolfgang schaute zu Maren hinüber, die in ihrem Bett eingeschlafen war: Das Buch war ihr auf die Brust gesunken, das dritte Glas Wein dieses Abends stand fast geleert auf ihrem Nachttisch. Wie lange war es her, seit sie das letzte Mal miteinander Sex gehabt hatten? Er konnte sich nicht erinnern, zwei Monate waren es bestimmt, vermutlich sogar mehr als drei. Maren würde dazu sicher sagen, dass er ja auch keinerlei Interesse mehr zeigte. Was nur zum Teil stimmte. Früher hatten sie ein gut ausbalanciertes Gleichgewicht der Kräfte gelebt. Wolfgang wusste, dass Maren nur an bestimmten Abenden Lust hatte. In den ersten Jahren hatte er es von sich aus probiert, Maren zu verführen. Doch die Anzahl der gescheiterten Versuche war so hoch gewesen, dass er irgendwann nur noch dann die Initiative ergriff, wenn Maren ihm ein Signal der Bereitschaft gab. Ein Lächeln, eine ungewohnt liebevolle Bemerkung, ein weicher Blick. Wolfgang verstand diese Zeichen sofort und sicher und ließ keine dieser Aufforderungen ungenutzt.
In den letzten Jahren hatte das Zeichen aus einer Frage bestanden. „Gehst du noch duschen?“, fragte Maren kurz vor dem Zubettgehen, wenn sie seine Nähe wollte.
„Ja“, sagte Wolfgang dann immer, „ich wollte gerade ins Bad gehen.“
Und dann ging er ins Bad, und dann ging sie ins Bad und dann liebten sie sich.
Doch inzwischen blieben die Zeichen von Maren aus. Sie stellte die Frage nicht mehr, an Lächeln oder warme Blicke war ohnehin nicht zu denken. Manchmal verspürte Wolfgang den Drang, sich im Bett zu ihr zu wenden, sie in den Arm zu nehmen und zu küssen, sie seine Erregung spüren zu lassen. Aber dann war er nicht geduscht, und das schien ihr irgendwann sehr wichtig geworden zu sein.
Manchmal dachte Wolfgang auch beim abendlichen Zähneputzen daran, einfach in die Dusche zu gehen und dann nackt zu Maren ins Bett zu steigen. Aber schon das Geräusch der prasselnden Dusche am Abend war ein so aufdringlicher Annäherungsversuch, dass er sich dabei plump und billig vorkam und fest mit Marens Ablehnung rechnete. Also ließ er es bleiben, zog seinen Schlafanzug an und las neben Maren noch ein paar Seiten in einem Kriminalroman.
Wolfgang beugte sich über seine Frau, schaltete das Licht auf ihrer Seite aus, nahm das Buch und legte es neben das Weinglas, das am Morgen vollständig geleert sein würde. Dann ließ er den Kopf auf sein Kissen fallen. Inzwischen fehlte ihm der Sex nicht mehr so sehr. Alle paar Wochen ein Besuch bei Eva - mehr brauchte er zum Glück nicht.