Weidenstetter begriff schnell, dass die Anmeldung mit Irenes Namen allein nicht ausreichte.
Wenn er im gleichen Forum noch mit drei, vier anderen Identitäten präsent war, vervielfachten
sich die Möglichkeiten. Er konnte seine Geister als Unterstützer von Irene losschicken, wenn
sie mit einem Beitrag auf Widerstand stieß. Er konnte aber auch über Irene herfallen und sie
beschimpfen. Mit dem einen Account bezweifelte er, dass Irene im wirklichen Leben existierte,
mit einem anderen behaupte er, eine gute Freundin von Irene Weidenstetter zu sein und dass
sie ein ganz feiner Mensch sei. So war dann auch gleich Irenes voller Name für die
Suchmaschinen auffindbar. Wer nach ihr suchte, fand jetzt auch ihre seltsamen Beiträge im
Katzenforum.
Aber die Katzen waren ja auch nur der Anfang. Es gab noch viel spannendere Plattformen.
Dating-Portale, zum Beispiel. Wolfgang fragte sich, wie viele der dort herumgeisternden,
unglaublichen Gestalten tatsächlich existierten. Aber das war egal. Auch dort verwendete er
IreneW als Decknamen. Über das Katzenforum ließ sich leicht ein Bezug herstellen zwischen dem
vollen Namen und dem Nicknamen in den Sexforen. Einem geschickten Internetnutzer wurde, wenn
er danach suchte, dieser Zusammenhang sehr schnell klar. In den pornographischen Bilderwelten
des Netzes suchte er eine Nacht lang, bis er dort eine ausreichend alte, vollkommen nackte
Frau gefunden hatte, die ein Stückchen dicker und wesentlich unansehnlicher war,
als er Irene in Erinnerung hatte.
Das Gesicht macht er mit einem Bildbearbeitungsprogramm unkenntlich, das
zeigten ohnehin fast nur die professionellen Mitglieder. Dann stellte er das Bild als Profilfoto
auf den Datingportalen ein. Schon am nächsten Tag hatten sich mehrere Männer gemeldet, die mit
Irene eine heiße Nacht verbringen wollten. Weidenstetter schüttelte den Kopf und wunderte sich
zum ersten Mal in seinem Leben über das männliche Geschlecht.