Wolfgang legte beide Hände auf das Brückengeländer, beugte sich vor und sah hinunter. Einzelne Autos kamen heran, schnurgerade aus der Ferne mit immer heller leuchtenden Scheinwerfern um dann plötzlich und mit erstaunlichem Tempo unter ihm zu verschwinden. Hochdrehende Motoren, zischende Reifen auf nassem Asphalt. Plötzlich verstand Wolfgang, wie spannend das Leben war. War der Alltag noch so eintönig, noch so von Zwängen bestimmt, noch so sehr in fremder Hand - es gab so viele Türen. Man musste nur hinschauen. Sie nur erkennen. Das Lächeln der Frau vorhin im Supermarkt. Er hätte sie zu einem Kaffee einladen können. Es hatte sich so angefühlt, als ob sie angenommen hätte. Dieser Augenblick hätte eine Tür sein können, hinter der sich eine Affäre verbergen mochte - oder ein ganz anderes Leben mit einer anderen Frau. Er hatte die Tür nicht geöffnet und nachgeschaut, aber sie war da! Oder die Stellenanzeige, die er am Vormittag im Büro gelesen hatte: Projektleiter für ein Entwicklungshilfeprojekt in der Sahara. Er könnte sich bewerben. Vermutlich würden sie ihn nicht nehmen, und falls doch, würde ihm die Familie das wieder ausreden. Aber es war eine Möglichkeit, ein großes Abenteuer, das greifbar nahe lag. Das, was so sicher und berechenbar scheint, so verlässlich - ist dünner und brüchiger als eine schmelzende Eisfläche.